Leopold Jessner und seine Treppe
Leopold Jessner
Leopold Jessner wurde zu einem "Theater-Revolutionär", als er 1919 Leiter des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt in Berlin wurde. Wie Brecht und Piscator in ihrem Epischen Theater verfolgte auch Jessner als Theaterregisseur politische Ziele.
Mit seinen Stücken wollte er etwas beim Publikum bewirken. So kann man auch bei diesen Aufführungen vom "politischen Theater" sprechen.
Klassiker in neuem Gewand
Leopold Jessner brachte als Regisseur die Klassiker auf die Bühne, z. B. 1920 Shakespeares "Richard III." oder 1923 Schillers "Wilhelm Tell". Doch er inszenierte die Stücke nicht wie üblich. Statt dessen übertrug er Stilmittel der Expressionisten auf diese Stücke.
Das Bühnenbild blieb karg und kahl und war damit raum- und zeitlos. Die Schweiz in seinem "Wilhelm Tell" etwa wurde von Podesten und Treppen gebildet, die vor schwarzen Vorhängen hingen. Filmszenen wurden eingeblendet, die Sprache war geballt und rhythmisiert.
Aktuelle Bezüge in Jessners Stücken
Jessner stellte aktuelle Zeitbezüge her, was immer wieder zu Theaterskandalen führte. So rechnete er zum Beispiel mit der Kaiserzeit ab, indem er z. B. den Gewaltherrscher Geßler in "Wilhelm Tell" mit einer der kaiserlichen Hup-Fanfaren von Wilhelm II. auftreten ließ.
Überhaupt ging es im "Tell" um die Freiheit. Dieses wesentliche Thema galt es für Jessner herauszuarbeiten. Eine Schweiz als Bühne war dafür unnötig, ja sogar verkehrt. Schillers Werk wird also aus seiner ganz spezifischen historischen Situation gelöst. Man sprach schließlich von Jessners "Tell" – nicht von Schillers.
Die Jessner-Treppe
Für seine Inszenierungen setzte Jessner ein abgestuftes Podium ein, das als Jessner-Treppe bekannt wurde. Sie wurde zu seinem Markenzeichen. Sie stand im Zentrum seines streng gegliederten Bühnenbildes. Diese Stufenbühne war raum- und zeitlos und konnte im Prinzip für alle Inszenierungen eingesetzt werden.
Zudem drückte Jessner mit den Stufen Hierarchien aus, je nachdem, wo er die Schauspieler auf der Treppe platzierte. Auch das Hinauf- oder Hinabsteigen oder das Stehen auf einer Stufe bekam so eine symbolische Bedeutung.
Allen bis dahin üblichen Bühnenbildern lief das entgegen. Vorher versuchte man möglichst realitätsgetreue Bühnenbilder zu schaffen, die zudem auf einer Ebene aufgebaut wurden.
Reaktionen des Publikums
Das Publikum war gespalten. Die einen vermissten die Illusion. Sie wollten in "Wilhelm Tell" die Schweiz sehen und keine kahlen Treppen. Sie wollten auch keine aktuellen Zeitbezüge, sondern sich in andere, vergangene Zeiten träumen. Andere bejubelten diese neue Art, alte Theaterstücke zu sehen.
Fritz Kortner als Hauptdarsteller bei Jessner
Fritz Kortner hatte seinen Durchbruch als Schauspieler 1919 in dem Stück "Die Wandlung". Leopold Jessner machte Fritz Kortner dann zu seinem Hauptdarsteller. So gab Kortner den Gessner in "Wilhelm Tell", spielte Othello, Macbeth und Richard III. in den Stücken Shakespeares.
Blick voraus
Jessner wurde immer wieder kritisiert und sein Vertrag als Generalintendant wurde 1930 in einen Vertrag als Regisseur umgewandelt. Da er Jude war, lösten die Nationalsozialisten seinen Vertrag 1933 auf. Jessner emigrierte 1934 zunächst nach Großbritannien, dann weiter nach Palästina und in die USA.