Ich bin die Annelies
Anneliese ist ein behütetes Kind. Ihr und ihren Eltern und Geschwistern geht es gut, sie leben in einer großen Wohung und werden schon fast modern erzogen. Doch dann droht der Krieg, alles zu zerstören:
Mein Name ist Annelies. Ich habe drei Schwestern und bin die älteste von uns vieren. Als meine jüngste Schwester geboren wurde, wollte mein Vater gar nicht gucken gehen. So wütend war er, dass es schon wieder ein Mädchen geworden ist. Er wünscht sich so sehr einen Sohn. Mir ist das eigentlich ganz egal, und wir vier Mädels spielen ganz toll zusammen, ein blöder kleiner Bruder würde da nur stören. Unser Vater unterrichtet an der Universität und unsere Mutter hat auch einen Beruf. Sie ist ziemlich modern und mag überhaupt keine Hausarbeit. Das Kochen hat bei uns die Minna, die Köchin, übernommen. Die mag ich sehr gerne. Oft sitzen wir Kinder bei ihr in der Küche und dürfen Teig schlecken. Hm, das schmeckt lecker.
Wir haben eine große Wohnung, insgesamt fünf Zimmer, aber wir Kinder müssen alle in einem Zimmer schlafen. Wir wohnen im zweiten Stock eines großen Hauses und an der Wohnung ist sogar ein Balkon. Manchmal wird auf dem auch gegessen.
Ich spiele, seitdem ich 8 Jahre alt bin, Geige. In den Geigenunterricht muss ich immer laufen, das dauert fast eine ganze Stunde, denn meine Lehrerin wohnt in einem ganz anderen Stadtviertel. Und der Rückweg ist genauso lang, also fast so lang, dann geht es bergab. Meine Eltern meinen jedenfalls, ich sei begabt und könnte später Musikerin werden. Na ja, ich weiß nicht. Erst einmal muss ich das Mädchengymnasium schaffen. Ich bekomme schon Lateinstunden vom Herrn Pfarrer, damit ich auch ordentlich vorbereitet bin. Das meint zumindest meine Mutter.
Meine Schwester Henriette spielt Klavier und Klara hat mit Flöte angefangen. Die Klavierlehrerin kommt zu uns nach Hause, oh wie ich Henriette beneide. Amelia, meine jüngste Schwester, ist noch zu klein, sie spielt am liebsten mit ihren Steiff-Tieren, das sind diese Tiere, die alle einen Knopf im Ohr haben. Wir haben eine große Sammlung und Onkel Herbert schenkt uns immer etwas Neues zum Geburtstag.
Jetzt muss ich euch noch etwas Schreckliches erzählen. Mein Vater soll in den Krieg gehen. Dabei ist er doch Professor und hat zwei linke Hände. Wir haben alle Angst, dass ihm etwas zustoßen könnte und Mama weint ganz oft. Wir Kinder stehen dann daneben und uns ist auch zum Heulen zumute, aber wir müssen Mama ja unterstützen. Andauernd rollen an unserem Haus Züge vorbei. Die Soldaten stehen in offenen Wagen und singen die ganze Zeit irgendwelche Lieder. Ich finde Krieg ziemlich unnötig. Trotzdem spielen wir manchmal Krieg. Wir nennen das dann "Soldaterles" spielen. Da gewinnen wir übrigens immer gegen die Engländer. Unsere Lehrerin lässt uns immer zum Ende der Stunde sagen: "Gott strafe England!"