Ich bin der Wilhelm und lerne Latein und Griechisch
Wilhelm erklärt euch, wie das so auf einem Gymnasium der Kaiserzeit zugeht:
Wie das mit der Schule ist? Also normalerweise gehen die Jungen drei Jahre auf eine Schule, die sich "Vorschule" nennt und dann von der Sexta bis zur Oberprima ins Gymnasium. Meine Eltern haben mich auf ein Klassisches Gymnasium geschickt, hier lerne ich auch Latein und Griechisch. Eigentlich sind meine Eltern gar nicht so klassisch, aber die Schule liegt um die Ecke und das ist natürlich praktisch.
Unsere Lehrer müssen wir mit Herr Professor anreden, zumindest die älteren. Die jüngeren nennen wir Herr Oberlehrer. Ob es auch Unterlehrer gibt, weiß ich nicht, an unserer Schule jedenfalls nicht. Von den Lehrern wissen wir eigentlich nur, welche Fächer sie unterrichten. Meist kleiden sie sich in einen Gehrock. Sie sind sehr streng. Reden ist nicht erlaubt und wer zwischendurch den Mund aufmacht, der geht das Risiko ein, dass der Stock die Finger streift oder Schlimmeres.
In unserer Schule gibt man sich kaisertreu. Immer am 27. Januar, das ist der Geburtstag unseres Kaisers Wilhelm II., feiern wir in der Schule. Hier erklärt der Direktor dann immer wieder, dass wir alle bedeutenden Leistungen im Deutschen Reich nur dem Kaiser zu verdanken haben. Und wer an das Ende des Aufsatzes schreibt "Alle Leistungen verdanken wir unserem Kaiser", der bekommt eine gute Note, auch wenn vorher völliger Unsinn steht.
Allerdings geht seit neuestem das Gerücht, dass Professor Wagner, das ist unser Griechischlehrer, den Liberalen seine Stimme bei den letzten Wahlen gegeben hat. Jetzt redet fast keiner mehr mit ihm. Ich finde das nicht schlimm. Wozu sollen denn Wahlen sonst gut sein, wenn man nur eine Partei wählen kann.
Besonders langweilig ist unsere Singstunde. Hier singen wir Lieder wie "Heil dir im Siegerkranz" oder "Die Wacht am Rhein". Die meisten meiner Mitschüler schlafen in dieser Stunde. Musik gefällt mir eigentlich gut, zu Hause spiele ich Klavier und das macht mir wirklich Spaß, aber diese Lieder finde ich schrecklich.