Was ist die Literatur des Fin de siècle?
Der Schmerz der Seele
Während der Naturalismus die Wirklichkeit möglichst getreu abbilden wollte, gab es auch Strömungen, die sich ganz gegen den Naturalismus richteten. Die Dichter verstanden die Zeit um die Jahrhundertwende als eine Zeit, in der die Menschen einerseits verunsichert waren, andere auch dekadent (heruntergekommen, degeneriert) lebten. Und dieses Lebensgefühl wollten sie mit ihrer Dichtung verdeutlichen.
Die Gedichte in ihrer Zeit verstehen lernen
Diese Dichter dachten über das Leben nach, über sich selbst, ihre Seele, ihre Ängste, ihre Verlorenheit und Unsicherheit. So klang die Dichtung dieser Zeit manchmal ein bisschen wehleidig, auch wenn das Ergebnis dieses Weltschmerzes oft sehr schöne Gedichte waren. Um sie verstehen zu können, musst du aber wissen, in welcher Zeit die Dichter lebten und was sie mit ihren Gedichten überhaupt sagen wollten. Die Seele des Menschen steht im Mittelpunkt, nicht die Tatsache, dass jemand hungrig war oder keine Arbeit fand oder ein totes Kind zu beklagen hatte. Das war Sache der Naturalisten. Und genau von diesen wollte man sich ja absetzen.
Die Traurigkeit fand vor allem in den Gedichten ihren Ausdruck
Man kann diese Literatur auch vereinfacht Fin de Siècle-Literatur nennen, also Literatur, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde. Vor allem in der Lyrik fand die Traurigkeit und die Melancholie der Dichter ihren Ausdruck. Bedeutende Vertreter dieser Fin-de-siècle-Dichtung waren Stefan George, Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal.
Video - der Panther
Am besten kannst du das verstehen, wenn du ein Gedicht dieser Zeit liest. Sehr bekannt wurde "der Panther" von Rainer Maria Rilke. In diesem Gedicht geht es um einen Panther, der im Jardin des Plantes, einem Park in Paris, eingesperrt lebt. Sein Schicksal, seine Einsamkeit steht auch ein bisschen für das Lebensgefühl der Zeit, aber auch seiner Dichter. Dieses Gedicht wird auch oft im Schulunterricht besprochen. Vielleicht kennst du es ja. Dieses Gedicht wurde in diesem Video umgesetzt. Schau es dir mal an.
Herzlichen Dank an Konrad Frank, der uns dieses wunderschöne Video zur Verfügung gestellt hat. http://www.ennoks.de
Text vom "Panther" von Rainer Maria Rilke
Der Panther, Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -.
Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris
Vielleicht ist dies eines der schönsten Gedichte überhaupt, aber das ist wieder ein sehr subjektiver Eindruck.