Politisches Theater und Kindertheater

Das Theater wird politisch - auch für Kinder

Die Zeit der lehrhaften Parabelstücke, wie sie Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt in den 50er Jahren schrieben, endete in den 60er Jahren. Eines der letzten dieser Stücke ist Peter Weiss "Marat/Sade" von 1964.

Auch die Zeit des Absurden Theaters, wie es mit "Warten auf Godot" von Samuel Beckett (1953) oder "Die Nashörner" von Eugène Ionesco (1960) aus Frankreich gekommen war, lief aus.

Nicht nur politisch herrschte ab Mitte der 60er Jahre Aufbruchsstimmung. Das Ende der Ära Adenauer und Willy Brandts neue Politik beeinflussten die Gesellschaft und umgekehrt. Auch das Theater wurde nun vermehrt politisiert - und so zum politischen Theater. Es fand seinen Ausdruck zum Beispiel im Dokumentartheater.
 

Dokumentartheater

Die Bandbreite des Theaters in der Bundesrepublik wuchs. Typisch für die 60er Jahre wurde vor allem das Dokumentartheater. Die Stücke waren politisch und vom Zeitgeschehen geprägt. Es ging immer um politische oder auch soziale Ereignisse. Man wollte aufklären und konfrontieren.

Historische Dokumente wie Briefe, Akten oder Protokolle dienten dabei als Quellen. Sätze und Dialoge z. B. aus Gerichtsverhandlungen wurden von den Autoren direkt übernommen.

Zum Dokumentartheater zählen Stücke wie "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth von 1963 (über die Haltung des Vatikans zum Holocaust), "In der Sache J. Robert Oppenheimer" von Heinar Kipphardt von 1964 (über den Bau der Atombombe) und "Die Ermittlung" von Peter Weiss von 1965 (über die Auschwitzprozesse).

Das Publikum sollte aufgeklärt werden, sich eine Meinung bilden und so politisch aktiviert werden.
 

Agitationstheater

Provozierend und überraschend kam meist das Agitationstheater daher. Es fand überwiegend als Straßentheater statt, manchmal auch in Fabriken.

Das Agitationstheater richtete sich vor allem an Arbeiter und sollte aufrütteln sowie zum gesellschaftlichen Aufbruch und zu Veränderungen animieren. Das Publikum wurde wie bei den Happenings der Künstler meist mit einbezogen. Das Agitationstheater fiel in die Zeit, in der die 68er-Generation aktiv war.
 

Sprechstück

Der typische Vertreter des Sprechstücks ist Peter Handke. Ein solches Stück hat keine eigentliche Handlung mehr. Es wollte aufrütteln, über das Theater selber nachzudenken.

Die Schauspieler kamen bei Peter Handke z. B. von hinten auf die Bühne. Das bekannteste Sprechstück war "Publikumsbeschimpfung" von 1966, in dem das Publikum tatsächlich beschimpft wurde, ehe die Schauspieler es zum Schluss beklatschten.
 

Volksstück

Das Volksstück in der Tradition von Ödön von Horvath wurde durch Autoren wie Franz Xaver Kroetz wiederbelebt.  Er ist der bekannteste Vertreter des Volksstücks der 70er Jahre, z. B. mit "Stallerhof" von 1972.

Die handelnden Personen, meist aus dem einfachen Volk und oft Außenseiter der Gesellschaft, sprechen Dialekt. Die Autoren übten Kritik an der Gesellschaft, an der Sprachlosigkeit oder der Entfremdung.
 

Politisches Kindertheater statt Märchen

Zum Vorreiter für sozial engagiertes Kinder- und Jugendtheater in der gesamten Bundesrepublik wurden das Grips-Theater (ab 1966, dann ab 1972 eigenständig unter diesem Namen) und das Theater Rote Grütze (ab 1972) in Berlin. Typisch für das Kindertheater waren bis dahin Aufführungen von Märchen.

Nun wurden (ab 1969 und besonders dann in den 70ern) Stücke extra für Kinder geschrieben. In ihnen wurde auf die Lebenswelt der Kinder eingegangen - das war ganz neu! In konservativen Kreisen stieß diese Art von Kindertheater auf enorme Ablehnung.

Doch das kritische Kindertheater setzte sich durch. Stücke wie die "Balle, Malle, Hupe und Artur" (Grips-Theater) oder "Darüber spricht man nicht" (ein Aufklärungsstück vom Theater Rote Grütze) wurden stilprägend.

Ähnlich war es mit Stücken für Jugendliche - auch das ein ganz neues Genre. "Das hältst du ja im Kopf nicht aus" (Grips-Theater, 1975) und "Was heißt hier Liebe?" (Theater Rote Grütze, 1976) waren Vorreiter dafür.

Zu einem bundesweit bekannten Stück wurde ab 1986 das Musical "Linie 1" vom Grips-Theater. Ein Mädchen fährt mit der U-Bahn Linie durch Berlin und trifft auf der Suche nach ihrem Freund eine bunte Gesellschaft.
 

Vielfalt im Theater der 70er Jahre

In den 70er Jahren trat eine Veränderung im Theater ein. Autoren wie Franz Xaver Kroetz oder Rolf Hochhuth schrieben weiter an ihren politisch motivierten Stücken.

Andere wie Thomas Bernhard und Botho Strauß wandten sich ihren eigenen privaten Problemen zu und beschäftigten sich mit dem Innenleben ihrer Personen - passend zur Neuen Subjektivität.

Mit dem Bühnenbild wurde genauso experimentiert wie mit klassischen Stoffen von Shakespeare oder Goethe.

Bekannte Stücke von Botho Strauß - einem der wohl meistgespielten zeitgenössischen Dramatiker - sind z. B. "Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle" (1975), "Groß und Klein" (1978) und "Der Park" (1984).