Walter - Lateinschüler am Gymnasium
In unserem Klassenzimmer hängen die NS-Fahne und ein Portrait Adolf Hitlers. Morgens müssen wir vor der Schule immer stramm stehen. Der Unterricht beginnt mit einem laut geschmetterten "Heil Hitler!". Früher hieß es "Guten Morgen, Kinder". Ich finde, das klang freundlicher, irgenwie klingt das jetzt so wie auf dem Kasernenhof, soll es wohl auch. Sogar der katholische Pfarrer, der bei uns Religionsunterricht hält, sagt "Heil Hitler!".
Wir haben seit kurzem zwei neue Fächer: Rassenkunde und Rassenhygiene. Und wir machen ganz viel Sport schon vor dem Unterricht. Eigentlich mag ich Sport ganz gerne, ich war auch immer sehr sportlich und spiele gerne Fußball, aber das jetzt, das ist wie auf dem Kasernenhof. Nichts mehr mit Rumbalgen und Blödeln, alle stehen in einer Reihe, und bevor es keinen Befehl gibt, bewegt sich keiner. Wenn einer aus der Reihe tanzt, oweh, dann setzt es im besten Fall eine Backpfeife, im schlimmeren Fall heißt es "Hosen runter". Unser Sportlehrer meint, dass wir unsere "jugendlichen Körper stählen sollten".
Seit kurzem darf mein bester Freund, der Max, nicht mehr in die Schule kommen. Sein Vater ist nämlich Jude. Seine Mutter wohl nicht, deshalb ist er nur "Halbjude", was aber fast genauso schlimm ist. Der Direktor hat ihn zu sich gerufen und ihm erklärt, dass er die Schule nicht mehr besuchen dürfe. Und er war einer unserer besten Schüler, vor allem in Deutsch und Latein, na ja, in Mathe bin ich besser, aber wir haben uns immer gegenseitig geholfen. Max hat schrecklich geweint, er ging gerne in die Schule. So ganz verstanden habe ich das nicht, warum sie einen so guten Schüler gehen lassen. Aber irgendeinen Grund wird es schon haben.