Was ist Antisemitismus?
Was heißt Antisemitismus?
"Die Juden sind unser Unglück": Antisemitismus im Kaiserreich
"Die Juden sind unser Unglück". Dieser Satz stammt von einem Historiker namens Heinrich von Treitschke (1834-1896). Er veröffentlichte in den Jahren zwischen 1879 und 1880 eine Reihe von Artikeln, mit denen er diesen Satz bestätigen wollte. Später sollte dieser Satz auf den Plakaten der Nationalsozialisten zu lesen sein.
Woher stammte der Begriff "Antisemitismus"?
Der Begriff Antisemitismus selbst ist eine "Erfindung des 19. Jahrhunderts" und wurde angeblich von dem Journalisten Wilhelm Marr in seiner neuen Bedeutung eingeführt. Antisemitismus bedeutet so viel wie "Hass auf die Juden". "Anti" (gegen) die "Semiten", wobei der Begriff "Semiten" falsch gedeutet wurde. Die Semiten gehören zu einer gemeinsamen Sprachfamilie und stammen aus Nordostafrika oder Vorderasien. Diesen Begriff setzte man mit den Juden bzw. mit den Anhängern des jüdischen Glaubens gleich. Eng in Zusammenhang stand damit der Begriff der Rasse. So sprach man jetzt von der Rasse der Semiten und diese wurde als minderwertig bezeichnet.
Auch das war nichts Neues, denn Menschen jüdischen Glaubens wurden über Jahrtausende ausgegrenzt, schlecht behandelt, verfolgt und oft getötet. Die Juden allerdings nicht als Religion, sondern als "Rasse" zu sehen, das war neu. Diese Sicht zeichnete den Antisemitismus im 19. Jahrhundert oder im Kaiserreich aus. Dieses falsche Verständnis und diesen irrationalen Hass mussten die Nazis später "nur" aufgreifen und in ihre gewünschte Richtung lenken. Somit haben die Nationalsozialisten den Antisemitismus nicht "erfunden". Er war schon vorhanden.
Was bedeutet nun antisemitisch?
Mit dem Begriff "Antisemitismus" wollte man der Abneigung und dem Hass gegenüber dem Judentum einen quasi "wissenschaftlichen" Anstrich geben. Man versuchte, die Vorurteile gegenüber den Juden wissenschaftlich zu begründen. Was natürlich völliger Unsinn war. Trotzdem waren viele gebildete Menschen, Wissenschaftler und Professoren Antisemiten. Antisemitische Einstellungen waren durchaus in der gebildeten Schicht und im Bürgertum weit verbreitet. Die Juden wurden rechtlich im Kaiserreich gleich gestellt, auch das passte den Antisemiten nicht und sie wollten diese Gleichstellung gerne rückgängig machten.
Beispiele für Antisemitismus im Kaiserreich
So gab es viele Hetzschriften gegen Menschen jüdischen Glaubens. Man wollte ihnen die Einwanderung ins Deutsche Reich verweigern, sie sollten höhere Steuern zahlen und durften einige Berufe nicht ausüben. Man betrachtete sie als Angehörige eines fremden Volkes. Auch dies war völliger Unsinn, denn die meisten Juden waren ja Deutsche, sie waren im Deutschen Reich geboren, lebten dort seit Generationen und sprachen als Muttersprache Deutsch. Sie übten nur einfach einen anderen Glauben aus. Und manche nicht einmal das, sie waren zwar als Juden getauft, aber vielleicht gar keine gläubige Juden, die jüdische Sitten und Gebräuche tatsächlich lebten.
Viele Menschen im Kaiserreich waren neidisch auf die jüdische Bevölkerung. Viele Juden waren gesellschaftlich oft sehr erfolgreich, arbeiteten in angesehenen Berufen als Ärzte, Bankiers und Rechtsanwälte und verfügten über beträchtliche Geldmittel. Und Erfolg ruft eben oft Neider auf den Plan.
Folge war die Gründung von antisemitischen Vereinen
In der Folge wurden Vereine und Organisationen gegründet, die das so genannte "Judentum" - der Begriff wurde immer negativ verwendet - in verschiedenen Bereichen bekämpften. Die Forderungen reichten bis zur Beseitigung der Juden, wenn das auch nur wenige wirklich so radikal aussprachen. Es entstanden schlimme Vergleiche, indem man Juden mit Bakterien oder mit Parasiten gleichsetzte. Oft verband sich auch der Antisemitismus mit dem Nationalismus, eine verhängnisvolle Kombination. Deutschland sollte als Nation "judenrein" werden, das war die Forderung der radikalen nationalen Antisemiten.
Der Boden für die Nazis wurde schon im Kaiserreich vorbereitet
Auch wenn während der Kaiserzeit die rechtliche Gleichstellung der Juden - obwohl sie angefeindet und diskriminiert wurden - letztlich nicht abgeschafft wurde, die antisemitische Propaganda hatte die Bevölkerung beeinflusst. Die Nationalsozialisten mussten letztlich den vorhandenen Judenhass nur aufgreifen und ihren Zielen zunutze machen.
Gab es auch Gegner des Antisemitismus?
Es gab auch Gegenstimmen, vor allem auf der Seite der Linksliberalen und auch innerhalb der Arbeiterbewegung. Bekannte Wissenschaftler und Akademiker wie Theodor Mommsen oder Rudolf Virchow fanden es schlimm, wie gegen die jüdischen Mitbürger*innen gehetzt wurde. Doch sie mussten schon recht bald einsehen, dass gegen Neid, Wut und Hass die besten Argumente nur geringe Chancen hatten.
Auch die Sozialdemokraten verurteilten den Antisemitismus
Auch viele Sozialdemokraten verurteilten den Antisemitismus. Allerdings wollten sie ihre Wähler nicht abschrecken, die zum Teil ja auch aus dem Kleinbürgertum stammten und unter Umständen antisemitisch dachten. So gab es auch in der Sozialdemokratischen Partei Antisemitismus, allerdings lange nicht so ausgeprägt wie bei den nationalen und konservativen Parteien.
Blick zurück
Schon im Jahr 70 n. Chr. wurden in Jerusalem mehr als 600 000 Juden von den Römern ermordet. Damals behaupteten die Christen, die Juden seien ja selbst Schuld daran, weil sie Jesus nicht als Messias anerkannt hätten. Das war nur der Beginn einer Verfolgung der Juden über Jahrhunderte in allen Regionen der damaligen Welt. So wurden die Juden 1290 aus England vertrieben, 1306 aus Frankreich und 1492 aus Spanien. Erst im 18. und 19. Jahrhundert, als sich Gedanken der Aufklärung und der Toleranz weiter ausbreiteten, wurden die Juden gleichberechtigt, zumindest dem Gesetz nach. In Wirklichkeit hatten sie oft noch mit Benachteiligungen zu rechnen. Das Schlimme daran, der alte Hass, den gab es noch immer und der wurde teilweise noch schlimmer. Der Hass auf Juden hatte unterschiedliche Prägungen, mal hasste man die Juden, weil sie angeblich reich waren, mal, weil sie gebildet waren, weil sie einen anderen Glauben hatten. Die Gründe konnten wechseln, aber der Hass an sich war sehr tief in den Menschen verwurzelt, in vielen Ländern der Erde, nicht nur in Deutschland.
Blick voraus
Es gibt viele Theorien, warum es dann später gerade im Deutschland zum Holocaust, dem millionenfachen Mord an Juden, kam. Ob dies wirklich eine besonders deutsche Ausprägung war, ob die Deutschen obrigkeitshöriger waren als andere Länder, ob es Adolf Hitler war mit seinem ganz besonderen Hass auf Juden - all diese Fragen werden wir endgültig nicht beantworten können. Wir sollten uns aber der Tatsache bewusst sein, dass diese Morde von Deutschen ausgingen. Auch wenn es in England, in Frankreich, in Russland und in vielen anderen Ländern den Antisemitismus genauso gab und auch hier Verbrechen stattgefunden haben, bleibt der Holocaust für immer ein Verbrechen, das in seiner Einzigartigkeit Teil der deutschen Geschichte ist und bleibt. Diese Verantwortung, daran zu erinnern und damit der Opfer zu gedenken, tragen wir auch heute noch.